Konrat-Stalschus, Anneliese
Anneliese Konrat-Stalschus wurde am 15. April 1926 im ostpreußischen Goldap geboren. Schon in der Schulzeit begeisterte sie Kunst und Kunstgeschichte, sowie Kostüm- und Bühnenbild. Der Krieg vertrieb sie und ihre Familie. Am Ende des Zweiten Weltkrieg war sie eine junge Frau, die mit ihrer Familie alle Qualen, die die Siegermacht Sowjetunion der Zivilbevölkerung angetan hat, erlitt: Vertreibung, Verschleppung, Vergewaltigung. Mit 19 Jahren kam sie allein in Berlin an, der Vater und die Schwester waren nach Russland verschleppt, die Mutter ermordet.
In Berlin wurde sie Lehrerin, die wurden gebraucht, die Männer waren im Krieg oder in Gefangenschaft und nach dem Krieg durften Nazilehrer nicht mehr arbeiten. Nach 30-jähriger Tätigkeit als Lehrerin und ihrem Studium der Bildwirkerei an der Berliner Hochschule der Künste war sie ab 1979 freischaffende Textilkünstlerin. Bereits seit ihrer Kindheit arbeitet sie gerne mit Textilien. Die unterschiedlichen Materialien und Farben regten stets ihre Fantasie an. Auch als Lehrerin benutzte sie gerne Textilien im Kunstunterricht, doch ihr Wunsch sich als Textilgestalterin selbständig zu machen, ging erst spät in Erfüllung. Sie arbeitete in der Gobelintechnik und experimentierte mit freien Techniken. Ihre künstlerischen Ideen bezog sie hauptsächlich aus der Natur. In ihrem textilen Werk, aber auch auf den Papierarbeiten finden sich immer wieder Baumstämme, besonders von Birken, wahrscheinlich aus ihrer Kindheit in Ostpreußen in Erinnerung, Blattwerk, filigranes Geäst, sie geht sparsam mit Farben um. Ihre Brandtechnik, in der sie Nessel anbrennt und dadurch grafische Muster entstehen lässt ist von den Kriegserfahrungen tief durchdrungen und erinnert an die verbrannte Haut der Opfer: „Es sind die feinen Linien, die verbrannten Linien, die ins Verderben führen, nicht die lauten Striche.“
Als 1989 der US-Präsident Bush den militärischen Kahlschlag im Irak machte und die Bilder von brennenden Städten über die Bildschirme flimmerten, waren die Bilder ihrer Vergangenheit im brennenden und zerstörten Europa und Deutschland sofort wieder lebendig und wurden künstlerisch umgesetzt. Sie selbst schrieb dazu: „Du wolltest gern einen Artikel über mich schreiben…wie ich auf den Gedanken kam, mit angebrannten Stoffen (Nessel) zu arbeiten. Daher schreibe ich über das Jahr 1989. Es war weltweit ein unruhiges Jahr und für mich persönlich auch. Im Sommer gab es die Unruhen in China- und die Regierung veranstaltete ein großes Gemetzel auf dem Platz des himmlischen Friedens. Das erschütterte uns alle. Mein Lebensgefährte Konrad Voß, mit dem ich 9 Jahre lang in Mellingen bei Osnabrück zusammenlebte, lag im Sterben. Er starb, als die große Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg stattfinden sollte… Dann begann der schreckliche Krieg im Irak. Im Fernsehen wurden die brennenden Oelfelder im Süden des Landes gezeigt und die Menschen mit ihren brennenden Kleidern rannten um ihr Leben. Das hat mich furchtbar aufgeregt. Und dann kamen die Unruhen in Ostdeutschland dazu, die glücklicherweise unblutig zur Wiedervereinigung Deutschlands führten. Diese Ereignisse haben mich furchtbar erschüttert und ich musste mich durch Arbeit erleichtern, wie ich es so oft im Leben getan habe. Da ich die Brenntechnik schon einmal ausprobiert hatte (Nesselhöhle in Osnabrück), griff ich wieder zu dieser Technik. Ich kaufte wieder einen Ballen Nessel, nähte etwa 40 einfache Hemden und brannte sie an. Das war die Arbeit eines ganzen Sommers. 1991 sollte die Ausstellung der deutschen Gruppe Textilkunst in Bayreuth stattfinden. Im alten Schloß erhielt ich einen ganzen Raum für mich allein. Ich verhängte das Fenster und auch die Wände mit schwarzer Folie. Davor im Kreis hängte ich die Hemden – spärliche Beleuchtung.“ Die Menschen waren zutiefst erschüttert. Diese Installation, die sie „We shall overcome“ nannte, machte ihren Weg bis nach Amerika ins John-F. Kennedy-Center. Einer der Besucher ihrer Ausstellung kniete vor ihr nieder: „Ich danke Ihnen für das Werk.“
Die letzte große Ausstellung von Anneliese Konrat-Stalschus war im Winter 2020 bis zum 5.4. 2021 im Ostpreußischen Landesmuseum mit Deutschbaltischer Abteilung in Lüneburg zu sehen. Die Sonderausstellung war coronabedingt zunächst nur virtuell zu sehen und zeigte etwa 40 Werke der modernen Textilkünstlerin. Dieses Museum wird auch einen großen Teil des Nachlasses der Künstlerin erhalten.
Im Youtube-Film ist ein Überblick ihres Werkes zu sehen: https://www.youtube.com/watch?v=11R7M9hg4P4